Aus der Geschichte der Kolpingsfamilie Kirchseeon …

1928 - Gründungszeit

Nach den schrecklichen Ereignissen des 1. Weltkrieges und der nachfolgenden Inflationszeit, die viele Menschen um ihr ganzes Vermögen gebracht hatte, machte sich in der Zeit um 1928 langsam wieder Hoffnung und Zuversicht breit. Die Bevölkerung von Kirchseeon war überwiegend dem Arbeiterstand zugehörig. Neben dem Eisenbahn-Schwellenwerk gab es viele kleine Handwerksbetriebe und in den umliegenden Dörfern vor allem Landwirtschaft. In Kirchseeon-Bahnhof gab es seit 1899 eine eigene Kirche und seit 1901 eine Volksschule. Der Ort gehörte damals überwiegend zur Gemeinde Eglharting, der Rest zur Gemeinde Ebersberg und Moosach. Es hatte sich bereits allgemein ein reges Vereinsleben entwickelt.

Die von dem Priester Adolph Kolping (1813-1865) ins Leben gerufenen katholischen Gesellenvereine und die für die berufliche Wanderschaft so vorzüglichen Gesellenhäuser sowie die dort angebotenen Bildungsmöglichkeiten boten gerade jungen Menschen eine wahre Heimstätte in der Fremde. Im Landkreis bestanden zu dieser Zeit bereits katholische Gesellenvereine in Ebersberg, Grafing und Glonn. Das Werk Kolpings hatte sich bereits auch in unsere Nachbarländer ausgebreitet.

So war es nicht verwunderlich, daß sich auch in den Reihen der katholischen Gesellen in Kirchseeon der Wunsch nach einem eigenen Verein regte. Diesen Wunsch nahm der damalige Expositus Anton Prandstätter gerne auf. Die beiden Schneidergesellen Franz Ilg und Jakob Wagner, die beim Schneidermeister Pelk arbeiteten, brachten mit Lorenz Lohmeier, Hans Vogl, Paul Kirschbaum, Anton Seeberger, Georg Mößler, Franz Eder, Georg Wölfl und Johann Wölfl schnell eine kleine Schar Gründungsmitglieder zusammen. Damit war der Grundstock für den Beginn eines hoffnungsfrohen Vereinslebens geschaffen.

Um mit dem Verein auch äußerlich entsprechend auftreten zu können, wurde als nächstes ein Kolpingsbanner angeschafft. Bereits am 14. April 1929 erfolgte die feierliche Weihe des Banners. Die Einladung dazu zeigt, daß ein umfangreiches Programm den Tag bestimmte.

Daß dieser Tag dann auch überaus erfolgreich verlief, zeigte ein Bericht in der Zeitung "Der Oberbayer“ vom 18.4.1929. Bemerkenswert ist darin folgende Aussage zur Situation in Kirchseeon:

„... Bedeutungsvoll für den ganzen Ort entwickelte sich unter tatkräftiger Führung insbesondere der Kath. Gesellenverein Kirchseeon. Wer die politischen Verhältnisse gerade in diesem Ort näher kennt, der wird der Gründung gerade in Kirchseeon mit einem gewissen Mißtrauen gegenübergestanden sein. Aber die Zweifler sind durch die Tatsachen eines Besseren belehrt worden und daß der Katholische Gesellenverein Kirchseeon auf dem Wege zu weiterem Aufstieg sich befindet, hat er durch das schlichte und doch so eindrucksvolle Fest am Sonntag in aller Öffentlichkeit bewiesen.“

Gründungsmitglieder

Der Bericht befaßt sich weiter mit dem gesamten Programmablauf und weist vor allem auf den verdienstvollen Gründer und Führer des Vereins, H.H. Expositus Prandstätter hin. Ferner wird berichtet, daß unter den 24 Bannern viele auswärtige Gesellenvereine vertreten waren und „Bemerkenswert war die starke Beteiligung des Gemeinderates Kirchseeon, der Vertreter sonstiger öffentlicher Stellen und der Ortsvereine“. Mit einem feierlichen Festabend im Wallnersaale unter der Anwesenheit vieler Ehrengäste wurde der Tag eindrucksvoll beschlossen.

Somit war dem Verein ein erfolgreicher Beginn beschieden. Der erste Jahresbericht wurde von Präses Prandstätter mit Datum vom 1. Juni 1929 erstellt; er ist im Original Bestandteil unserer Vereinschronik. Er gibt in kurzen Worten wie folgt Auskunft über das erste Vereinsjahr:

 

„Jahresbericht des kath. Gesellenvereins Kirchseeon. Jahr 1928/29.

Gründung und Fortgang: Nach einer am 25. August 1928 vorausgegangenen Besprechung wurde am 30 August 1928 der Kath. Gesellenverein Kirchseeon gegründet. Die Zahl der Mitglieder war 21. Die Entfaltung des Vereins war eine gute. Die höchsterreichte Zahl der aktiven Mitglieder war 45. Nachdem die einen an andere Arbeitsstätten gegangen, andere auf Wanderschaft ihr Glück versuchten, beträgt der jetzige Mitgliederstand 34. Zahl der inaktiven Mitglieder ist 38. Ehrenmitglieder 0. Im Dezember 1928 wurde der Anschluß des hiesigen Vereins an Köln durch Verleihung der Urkunde bestätigt.

Derzeitige Vorstandschaft : Prandstätter Anton, Expositus, Präses; Wagner Jakob, Vice-Präses; Birner Alois, Senior; Schlumpp Otto und Obermaier Rudolf, Ordner; Beiräte aus den Inaktiven: Schneidermeister Pelk Franz und Metzgermeister Scheidhammer Michael.

Jugendgruppe des Gesellenvereins wurde im November 1928 errichtet. Mitgliederzahl 27.

Versammlungen : Die Vereinstätigkeit sieht wöchentliche Versammlungen vor. Vereinslokal: Gasthaus zur Post, Nebenzimmer. Die Versammlungen haben zum Gegenstand Geselligkeit und Berufspflege. Dem dienten Vorträge aus Religion, über die älteste Geschichte der Deutschen, Heimat, Literatur und Musik, Charakterbildung. Monatlich durchschnittlich 3 Vorträge. Besondere Veranstaltungen : (es folgt eine Aufzählung üblicher Veranstaltungen)
Kurse: Einheitskurzschrift während der Wintermonate. Teilnehmerzahl 22. Zur Zeit wird Buchführung gegeben.

Sonstiges : Freundschaftsverhältnis mit kath. Arbeiterverein Kirchseeon, mit Deutschen Turnverein, welch letzterer zur Sportbetätigung berücksichtigt wird. Die Jugendgruppe hat Freundschaftsverhältnis mit Jugendabteilung des D.Ö.A.V. Sektion Ebersberg-Grafing.

Jugendgruppe : 2-3 Versammlungen monatlich. Es fanden statt Wanderungen nach Glonn und Kastenseeon. Im übrigen nimmt die Jugend-gruppe auch an den hiefür geeigneten Veranstaltungen des Gesellenvereins teil.

Bei dieser Gelegenheit sei der Dank an die Brudervereine des Bezirkes für die tatkräftige Unterstützung bei der Gründung und Förderung unseres Vereins und Herrn Bezirksvorstand Lehnert ausgesprochen.

Prandstätter, Präses„

Leider war der rührige Gründungs-Präses Anton Prandstätter nur mehr bis Ende 1930 in Kirchseeon, der neue Expositus Georg Dötsch wurde nun neuer Präses.

Die folgenden beiden Jahre berichten überwiegend von einem blühenden Vereinsleben, wenngleich die Sorgen um die Zukunft und die Schatten der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise auch im Verein ihre Spuren hinterließen. Viele mussten um ihren Arbeitsplatz kämpfen, aber die Arbeitslosigkeit traf auch die meisten Kolpingmitglieder. Aus Solidarität wurde für die Betroffenen der Mitgliedsbeitrag von 50 auf 35 Pfennig herabgesetzt und auch sonst Unterstützung gewährt. Einige suchten ihr Heil in der Wanderschaft oder wanderten nach Amerika aus.

Die zunehmende Radikalisierung des politischen Lebens wurde auch in den Reihen der Kolpingmitglieder mit Besorgnis gesehen. So befaßte man sich in den Zusammenkünften zunehmend auch mit dieser Entwicklung. Am 13.03.1932 schreibt Schriftführer Adolf Seidinger in der Chronik u.a.

„H:H: Präses brachte uns einen sehr interessanten Vortrag. Nachdem letzten Sonntag X. März im Wahlkampf um die Kandidatur der Reichspräsidenten von Hindenburg siegreich ausgefochten wurde, was für den Radikalismus eine vernichtende Niederlage war, beschäftigte er sich mit diesem Thema. ...“

 

Am 9. Juni 1932 beteiligten sich auch die Kirchseeoner Gesellen an der Diözesantagung in der Turnhalle in Grafing. Dabei wurde eine Resolution gefaßt, die mit folgenden Worten beginnt:

„Der Oberbayerische Gesellentag in Markt Grafing, zu dem 2500 Gesellen zusammengekommen sind, bekennt in dieser großen Krisenstunde unserer Nation seine Treue zum katholischen Glauben, seinen Willen zum sozialen Wiederaufbau und seine Liebe zum freien deutschen Vaterland. ... – Getreu dem sozialen Programm des Gesellenvereins kämpfen die Kolpingsöhne für die Überwindung des Klassengeistes und für die Aufrichtung einer besseren sozialen Ordnung, bauend auf Leistung, Menschenwürde und berufliche Gemeinschaft. ... „.

So lösten sich die Hoffnung auf Besserung und die große Sorge vor der Zukunft auch im täglichen Leben der Kolpingmitglieder, wie auch in der übrigen Bevölkerung, immer wieder ab.

 

„Tätige Liebe heilt alle Wunden,

blosse Worte mehren nur den Schmerz „

(Adolph Kolping)

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